Lexletter
<i>CHRISTIAN LEX</i> <i>Lexletter </i>
  • © 2012 - 2021 0

CHRISTIAN LEX Lexletter

Pause eines Rastlosen.

Ich bin in Wien. Nur kurz, spreche am Theater vor. Morgen bin ich schon wieder woanders, als ich gestern nicht mehr war. Dieses - in Bewegung sein. Das ist etwas, was meinem Beruf einfach angehörig ist. Es lässt es nicht los. Wie die Fliege das Weibchen unter ihr. Ich mag es. Nichts finde ich auf die Dauer anstrengender, langweiliger, der Kostbarkeit eines Menschenleben gegenüber unhöflicher, als allzu still wo zu sitzen und zu schauen. Ich will nicht schauen, ich will beobachten. Gestern hat im Zug eine Dame am Telefon sich über die Vorbereitungen von Hochzeitsfeierlichkeiten aufgeregt. Sie sollte tanzen, doch sie ist sich sicher, dass niemand ihren Körper in Bewegung sehen möchte, wenn dies nichts mit dem anderen Geschlecht zu tun hat. Sie wird also nicht zum Proben für diese Hochzeit kommen, weil sie dort auch nicht tanzen wird. Sie stieg in St. Pölten aus. Das ist nicht der Nabel der Welt, wie ich fürchte. Maximal noch der von Niederösterreich. Aber ob man sich als St. Pölten das auf die Visitenkarte schreiben sollte, das bleibt fraglich. "Nabel von Niederösterreich". Ich ließe es lieber bleiben, an St. Pöltens Stelle.
Heute in der "Bim", wie der Wiener seine Strassenbahn wirklich liebevoll nennt, war eine Frau. Sie hatte viele Kleidungsstücke an. Damit wäre sie auch nicht im November groß aufgefallen. Am Auffallendsten war aber der lila Filzhut. Wer den einst gekauft hat, hatte einen guten Geschmack - ich fürchte, es war aber nicht ihrer. Diese Frau war merkwürdig. Sie war aus der Zeit gefallen. Eine Urbane Randgeburt, die sich dem normalen Leben entzieht, aber so öffentlich ist, wie wir höchstens dann, wenn wir nicht wissen wie die Privateinstellungen bei Facebook sich en Detail verhalten. Diese Frau machte also schon an der Haltestelle auf sich aufmerksam. Es ging um Planeten und Essen, um Pfandflaschen und irgendwie auch um uns, die wir ihr zusahen, oder besser noch wegsahen, um ihr nicht zusehen zu müssen. Sie erinnerte mich an einen Dichter, der barfuss durch Kreuzberg laufend, mir in der Hasenheide im Juni Glück verkauft hatte. Damals hab ich überlegt, welches auf Vorrat zu erwerben. Aber das erschien mir dann doch zu egoistisch. Die Frau verkauft in der Bim heute kein Glück. Sie nahm eine herumliegende Pfandflasche mit. Vielleicht war just in der welches versteckt. Glück. Und sie sitzt nun sicher feixend in ihrem Zuhause, sofern sie eines hat, und freut sich, dass wir das weggeworfene Glück als solches nicht erkannt haben. Die Frau hatte, als die Bim kam, alle mächtig genervt. Sie lief von Türöffner zu Türöffner und drückte auf die Knöpfe. Wir konnten erst mit mindestens einer Minute Verspätung losfahren, weil immer eine offene Tür uns daran hinderte. Die Frau ist schuld, dass die Mitfahrer einer ganzen Bim heute eine Minute später vom Fleck kamen.
Bewegung ist was Schönes. Der Kellner kommt.. Sie würden gleich zumachen. Ich bestelle noch einen letzten Mocca, wundere mich über Strassenarbeiten mitten in der Nacht vor dem Café, und packe meinen Kram zusammen. Wiens Nacht wartet auf mich. Mit Sankasirenen, Würstlbuden, die sicher eine eigene Parallelwelt haben, in der nie Tag wird, und diese Frau, die sicher irgendwo in irgendeiner Bim eine Pfandflasche mit Glück findet. Ich gehe. Los. Schön.
image
June 2023
May 2023
February 2023
January 2023
December 2022
November 2022
October 2022
March 2022
November 2021
October 2021
September 2021
April 2021
March 2021
February 2021
November 2020
September 2020
July 2020
April 2020
January 2020
December 2019
November 2019
March 2019
December 2017
November 2017
October 2017
May 2017
April 2017
March 2017
October 2016
August 2016
July 2016
March 2016
December 2015
October 2015
August 2015
February 2015
December 2014
May 2014
March 2014
February 2014
December 2013
November 2013
October 2013
September 2013
August 2013
July 2013
June 2013
May 2013
March 2013
February 2013
January 2013
December 2012
November 2012
October 2012
September 2012
August 2012
July 2012
June 2012

COOKIES UND DATENSCHUTZ


Herzlich willkommen! Wir nutzen Cookies um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können. Wenn Sie unsere Internetseiten nutzen möchten, sind Sie mit allem, was in unserer
Datenschutzerklärung steht und der Verwendung von Cookies, einverstanden.